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Aussteigen aber wie

Aussteigen – aber wie?

Ein paar Impulse

 

Es gibt viele Wege, einen Ausstieg zu wagen und es gibt verschiedene Methoden, mit denen man seinen Ausstieg voranbringen kann.

 

Einige Ideen möchte ich Dir hier aufschreiben:

Es ist möglicherweise gut zu wissen, dass es 3 grobe Richtungen gibt, in die Du mit Deinen Ausstiegsbemühungen gehen kannst:

Flucht (im Sinne von Abtauchen, Ausweichen, sich zurückziehen und im Alleingang arbeiten)

Verhandlung (mit den Tätern aushandeln, zu welchen Bedingungen sie Dich gehen lassen bzw. zu einer Art „Abkommen“ zu gelangen)

Flucht nach Vorn (Dein Wissen zu nutzen, um im Zusammenschluss mit anderen aktiv gegen die Täter vorzugehen bzw. ihnen hierüber deutliche Grenzen aufzuzeigen)

 

Einige Gedanken zur Flucht- Variante

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Menschen über eine Flucht rauskommen können. Das ist abhängig von der Brisanz der Situation und von den eigenen Möglichkeiten.

Manchmal muss man blitzschnell und spontan fliehen, weil sich eine Situation so sehr zugezogen hat, dass man keine Zeit für Vorbereitungen hat und man einfach nur hofft, dass man durch ein „Abtauchen“ sein Leben retten kann. Wer so entscheiden muss, aufgrund einer realen Gefahr, ist nicht feige, sondern handelt umsichtig, denn er hat die Folgen seiner Entscheidung auszusteigen, bedacht und versucht sich in Sicherheit zu bringen.

Dann gibt es Situationen, in denen sich evtl. eine Gefahr „zusammenbraut“, doch es gibt ein Zeitfenster, das man nutzen kann, um still und heimlich (z.B. über ein Internetcafe) Informationen und Rat zu einer anstehenden Flucht einholen kann, bevor man seine Flucht antritt. Hier kann man sich gedanklich etwas besser auf die kommenden Situationen vorbereiten und kleinere Vorkehrungen treffen. Doch lässt es die Situation häufig nicht zu, andere Personen vorzuinformieren, so dass man dann an einem bestimmten Tag ohne Mitteilung oder Verabschiedung verschwunden ist und nur das Nötigste bei sich trägt, um so seinen Fluchtversuch und damit sein Leben zu schützen.

Und es kann gut sein, dass Aussteiger flüchten müssen, es aber dennoch gelingt, einige ausgewählte Personen in den Fluchtplan miteinzuweihen, die dann evtl. auf irgendeine Weise bei der Umsetzung mithelfen oder einen weiteren Kontakt vermitteln können.
Wer in einer Situation also eher zu einer Flucht tendiert, sollte sich über die Brisanz und die Gefahr der Situation im Klaren sein und die Art und Weise der Flucht (mit oder ohne Mitwisser) gut einkalkulieren.

Diese Gedanken sind wohl eher für einen ersten Fluchtversuch oder für eine spontan auftretende Entwicklung, die Dein Leben aktuell in Gefahr bringen kann, angebracht.

Wer sich über innere Rückzüge, über Schweigen und Ausweichmannöver, bereits einige Zeit mit Ausstiegsversuchen beschäftigt hat, ist möglicherweise auch in gewissem Sinne auf der Flucht. Doch ist die Situation möglicherweise nicht ganz so Lebensgefährlich, wie oben geschrieben. Hier geht es evtl. schon eher um ein Vermeiden von Bestraft- Werden und um ein Weiterkommen im Ausstieg, als um das blosse in Sicherheit bringen des eigenen Lebens.

In diesem Fall zeigt sich die Flucht oftmals durch zahlreiche Umzüge, in der Hoffnung, so die Nachstellungen der Täter beenden zu können und um noch weiter raus zu kommen. Auch diese Art von Flucht ist für viele Aussteiger für eine lange Zeit notwendig und führt in kleinen Schritten immer mehr zu Sicherheit.

Doch auch das ständige Umziehen, Ausweichen und der Rückzug müssen an irgendeinem Punkt überwunden werden und alternative Verhaltensweisen hinzugefügt werden, sonst bleiben diese Bemühungen nur eine reine Flucht und sind leider ineffektiv. Doch für einige Zeit können diese Verhaltensweisen richtig und hilfreich sein.

Das Verhandlungsprinzip

Wer seine Situation gut überdacht hat und merkt, dass es möglicherweise Beweise oder etwas derartiges gibt, womit man gezielt an die Täter herantreten kann, um hierüber zum Erfolg zu gelangen, ist evtl. in der Lage mit den Tätern quasi eine Lösung auszuhandeln, anstatt eine Flucht anzutreten.

Hier gehen die Meinungen etwas auseinander. Manche sagen, dass man mit Verbrechern niemals verhandeln sollte, andere sehen gerade hierin eine gute Gelegenheit, wie man seine Ziele erreichen kann.

Einige Fachpersonen schlagen vor, eine Verhandlung gut vorzubereiten, in dem man sich überlegt, welche Mittel oder welches Wissen einem zur Verfügung stehen und was man genau vereinbaren müsste, damit es auch effektiv werden kann.

Im Vorfeld könnte es dann so weitergehen, dass z.B. strafrechtlich relevante Daten schriftlich bei einem Anwalt hinterlegt werden, vielleicht zusätzlich noch bei weiteren Personen und man dann einen Weg wählt (im Beisein anderer, schriftlich durch einen Anwalt…), wie man die Täter darüber informiert, dass man entweder einen Verhandlungstermin mit ihnen anberaumen möchte, um über die Lage miteinander zu verhandeln oder um den Tätern mitzuteilen, dass man bedeutsame Informationen hinterlegt hat und welche Konsequenzen ein bestimmtes Verhalten ab diesem Zeitpunkt dann für den/die Täter hätte, wie z.B. bei einem Angriff auf den Aussteiger bzw. auf bestimmte ihm nahestehende Personen würden die hinterlegten Informationen/ Beweismittel an die Ermittlungsbehörden oder an die Öffentlichkeit weitergeleitet werden.

Wer diese Variante wählen möchte, sollte also sehr genau überlegen, welche Mittel so bedeutsam sind, dass dies dann zum Erfolg führen kann und sollte sehr sorgsam einen Rahmen schaffen, in dem eine solche Verhandlung ablaufen kann. Hierbei scheint die Vorbereitung also äusserst wichtig zu sein.

Allerdings kann mit einer Verhandlung u.U. auch gemeint sein, dass sich ein Aussteiger an die Täter wendet, um ihnen zu sagen, dass er gerne aussteigen möchte und ihnen quasi verspricht, bis zu seinem Lebensende über das Erlebte und sein Wissen über Straftaten, Straftäter zu schweigen und eben nicht damit zur Polizei zu gehen. Durch ein Signal wie: „Ich halte mich raus, aber bitte lasst mich gehen.“, scheinen einige Aussteiger ihren Weg gefunden zu haben.

Weiter habe ich davon gehört, dass Personen, denen finanzielle Mittel zur Verfügung standen, quasi versucht haben, sich frei zu kaufen, in dem sie eine bestimmte höhere Summe (verbunden mit der Bereitschaft zu schweigen) an die Täter zahlen mussten.

Eins sollte man an dieser Stelle wissen:

Preis

Für welche Variante man sich auch immer entscheiden mag, es gibt bei keinem Weg eine 100%- ige Sicherheit. Immer kann etwas schief gehen. Immer kann mal etwas nicht funktionieren.

Und alles hat seinen Preis! Wer sich entscheidet, lieber drinne zu bleiben, muss dafür einen Preis bezahlen, wer sich für eine Flucht oder eine Verhandlung usw. entscheidet, muss einen Preis bezahlen. Ein Ausstieg oder ein Nicht- Aussteigen- Wollen/ Mitmachen muss immer in irgendeiner Form bezahlt werden. Vielleicht leidet Deine Gesundheit darunter oder Deine Finanzen, vielleicht musst Du Dich von Menschen und Orten trennen, die Du magst oder hast viele Kämpfe und harte Zeiten durchzustehen. So oder so – Du musst bereit sein, für Deine Entscheidungen zu zahlen.

Impulse zur Flucht nach vorn

Wer möglicherweise in der Lage ist, über das Erlebte zu sprechen und sich verständlich anderen mitzuteilen, hat evtl. die Chance durch ein Publik- Machen dieses Wissens, dieser Erlebnisse den Tätern wirksame Grenzen zu setzen. Das kann in der Form geschehen, dass jemand teilweise oder vollständig an die Öffentlichkeit geht oder durch eine Strafverfolgung versucht, Täter für ihr Verhalten zur Verantwortung zu ziehen.

Dieser Schritt setzt voraus, dass man bedeutsames Wissen hat (also entweder Wissen, das für die Öffentlichkeit interessant ist oder Wissen über Straftaten, die von hoher Bedeutung sind und noch nicht verjährt sind) und im Vorfeld klug überlegt hat, wie man sich selbst gut absichern kann (z.B. durch Mitwisser und dem Hinterlegen von Beweisen und Informationen, die die Täter stark belasten), damit man diesen Schritt auch erfolgreich in die Tat umsetzen kann.

Diese drei groben Richtungen sind einfach nur einige Möglichkeiten, um eine Idee zu bekommen, welche Wege es gibt und wie man einen Ausstiegsversuch wagen UND überleben könnte. Die Situation abschätzen und entscheiden, was für wen wann wie richtig ist, das bleibt leider niemandem erspart. Jeder muss das für sich selbst entscheiden, was ihm möglich ist und was eine Situation hergibt.

Wer klug entscheidet, hat viel gewonnen. Und wer entschlossen und konsequent handelt, kann weit kommen.

Abschliessender Hinweis

Alle diese Varianten und Impulse können sich im Laufe eines Ausstiegsprozesses auch wiederholen und sozusagen nacheinander durchlaufen werden.

So kann es z.B. sein, dass ein Aussteiger am Anfang seinen ersten Ausstiegsversuch mit einer geheimen oder begleiteten Flucht beginnt und dann aber feststellt, dass eine Flucht leider keinen Erfolg einbrachte. Also sucht er nach Lösungen und bemerkt, dass er ja Wissen hat, dass die Täter möglicherweise hinter Gitter bringen kann. Nun bereitet er eine Anzeigenerstattung vor, in dem er brisantes Material verschriftlicht und hinterlegt sowie sich anwaltlich beraten lässt.

Meine Erfahrung bisher ist eher die Beobachtung, dass Flucht- und Verhandlungsversuche in den meisten Fällen eher zuerst versucht werden und wenn alle diese Versuche keine Wirkung zeigen, geht es dann zu einem späteren Zeitpunkt zu der Flucht nach vorn über. Doch dieser Eindruck kann auch täuschen und die Ausstiegsvarianten müssten sicherlich noch ergänzt werden.

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Kleiner Gedanke am Rande:
Es wäre äusserst interessant einmal darzustellen, wie Ausstiegswege mit verschiedenen Hintergründen bei unterschiedlichen Aussteigern verlaufen sind und hierzu Zahlen festzuhalten: wie viele Aussteiger haben verhandelt, sind geflohen, haben angezeigt? Wie ist eine ledige Person, wie eine verheiratete Person, wie eine Person mit Kindern ausgestiegen? Wie verläuft ein Ausstieg bei Opfern, Tätern, Mittätern? Welche Variante macht bei einer Person mit einer wichtigen Aufgabe bzw. mit einem hohen Rang innerhalb der Gruppenstruktur Sinn und wie sieht es bei einer Person mit einem geringen Machtpotential aus?

Und was kann helfen, worauf sollte man achten und was sollte man jeweils lieber vermeiden?
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Lieber Aussteiger! Liebe Aussteigerin!

Ich wünsche Dir, dass diese Impulse Dir eine grobe Idee, eine Vorstellung vermitteln, von dem, wie es in Deinem Fall gehen könnte. Ich bitte Dich herzlich darum, gut zu wählen, was Du wann besser tun oder lassen solltest.

Es gibt oft sowas wie ein inneres Wissen darum, was in einer bestimmten Situation lieber nicht, auf gar keinen Fall oder möglicherweise getan werden sollte. Bitte hör auf diese innere Warnung und wenn Du merkst, dass Du jetzt gerade in Gefahr bist, dann zögere nicht, Dich in Sicherheit zu bringen. Dein Schutz, Deine Sicherheit geht vor!!!

Es ist gut, zu überlegen, wie ein Ausstieg gelingen kann, auf welche Weise man am meisten Chancen hat, es gut und möglichst unbeschadet zu schaffen. Deshalb wäre es toll, wenn Du Dir die Zeit nimmst, hierüber nachzudenken und umsichtig zu handeln, bevor Du irgendetwas tust.

Für Deinen Weg wünsche ich Dir von ganzem Herzen alles Gute!!!

Vanessa Lehmann(c), November 2014
www.mut-zum-ausstieg.de

veröffentlicht am 19.01.2015

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